Clean Chic – Wohnräume in perfekter Leere erstarrt

Ganz gleich, wohin Sie auch schauen, ob Sie ein Hochglanzmagazin durchblättern oder einen innovativen Wohnblog lesen – angepriesen wird der Clean Chic, eine unpersönliche Aufgeräumtheit, die sich in Wohnräumen niederschlägt, die in einer perfekten Leere erstarrt sind.

Im Alltag ist dagegen etwas weniger Perfektionismus weitaus charmanter.

Sicher kennen auch Sie die folgende Situation: Es klingelt an der Tür, doch eigentlich erwarten Sie niemanden. Sofort bricht Hektik aus, Ihr inneres Räumkommando befiehlt Ihnen von Raum zu Raum zu eilen, um zumindest ein bisschen Ordnung zu schaffen oder bei Ihrem unerwarteten Besuch wenigstens den Eindruck von Aufgeräumtheit zu erwecken. Sie richten die durcheinandergeratenen Sofakissen, falten die Tagesdecke, sortieren das Geschirr in die Spülmaschine, beseitigen die Spuren des gestrigen Fernsehkrimis und versuchen den Lego-Bauernhof inklusive aller Nutztiere unter der Couch verschwinden zu lassen.

Zweifelsohne ist auch Ihre Küche ein weites Feld, das es aufzuräumen gilt, der Topf mit welkem Basilikum wandert ebenso in den Müll wie die fast verfaulten Bananen. Doch damit nicht genug, Socken sammelnd bahnen Sie sich hektisch Ihren Weg ins Bad, polieren schnell über die Armaturen und tauschen die Gästehandtücher aus, denn sie haben eine klare Mission: die Beseitigung unschöner Wohnspuren. Natürlich leben Sie in Ihrem Haus, allerdings muss das ja nicht gleich jeder sehen, denn die Bilder stylish-schöner Wohnungen, die Sie nur allzu oft in den Medien präsentiert bekommen, weisen eine Gemeinsamkeit auf – sie sind perfekt. Dabei sind sie im jeweils angesagtesten Einrichtungsstil gestaltet, und zwar bis ins kleinste Detail.

Besonders gut zu beobachten ist dieser Trend beim Clean Chic, jenem urbanen, coolen Wohnstil, der in den höheren Kreisen als Muss gehandelt wird und der auf teure Klassiker definitiv nicht verzichten kann. Nichts bleibt dem Zufall überlassen, die Einrichtung ist elegant, funktional und schlicht. Erlaubt sind nur erlesene Materialien, die sparsame Verwendung ausgewählter Texturen und Muster, alles natürlich äusserst zurückhaltend eingesetzt. Mit anderen Worten: Beim Clean Chic wird definitiv nichts dem Zufall überlassen.

Clean Chic – Weniger ist mehr

Ein Kriterium, dass zweifelsohne nicht zur Einrichtung im Clean Chic-Stil zählt, ist Behaglichkeit. Vielmehr scheinen die dezenten und trüben Grautöne in ihrem Variantenreichtum nahezu unermesslich und reichen von Steingrau über Basalt- und Granitgrau bis hin zu Kieselgrau. Unermesslich scheint zudem die Leblosigkeit derartiger Wohnträume, die für viele eher einem Albtraum gleichen. Und dennoch nähren diese perfekt anmutenden Wohnräume des Clean Chic die Zweifel am eigenen Einrichtungsstil, erscheint dieser doch immer etwas zu opulent, ein wenig zu überladen und ein bisschen zu unaufgeräumt.


Clean Chic – Weniger ist mehr (Bild: © HamsterMan – shutterstock.com)

Clean Chic bedeutet dagegen, viel freie Fläche zu bewohnen, die Räume nur spärlich mit Möbeln zu versehen, die nicht nur auserlesen sind, sondern auch strengen Kriterien genügen müssen. Das Wohnkonzept ist charakterisiert durch die Idee, dass alles zueinander passen muss. So kann es durchaus passieren, dass von Gästen mitgebrachte üppige Blumensträusse ausgemustert werden, weil sie zu bäuerlich anmuten und dem Designkonzept widersprechen. Willkommen sind dagegen einsame Orchideen und Bambus-Stängel, denn sie lassen sich perfekt mit reduzierten Gedecken aus Schiefertafel kombinieren. Wer der Dinnereinladung eines Clean Chic-Fans folgt, sollte stattdessen lieber eine gute Flasche Wein mitbringen, denn diese stört nach dem gemeinsamen Abend in der Regel nicht das Gesamtbild.

Zweifel am eigenen Wohnstil oder Wo sind die Sachen der Clean Chic-Fans?

Eine Frage bleibt: Wo befinden sich die Sachen der Bewohner eines Clean Chic-Zuhauses? Die Antwort erhalten Sie bereits in den grosszügigen Fluren, denn dort liefern zahlreiche Einbauschränke den nötigen Stauraum. Zudem verschwindet all das, was aktuell nicht benötigt wird, auf Dachböden, in Garagen oder Kellern. Aber dennoch: Wo stehen die Bücher? Und wo verteilen die Kinder ihre Spielsachen? Derartige Grundsatzfragen stellen sich in der Regel lediglich durchschnittliche Eltern in durchschnittlichen Wohnungen, wenn sie auf Wohnkonzepte wie den Clean Chic in Hochglanzmagazinen stossen. Dort sind sogar die Kinderzimmer apart eingerichtet und vor allem wahnsinnig übersichtlich. Hier und da lugt ein Kuscheltier aus einem geschmackvollen, afrikanischen Flechtkorb hervor und dennoch bleibt offen: Wo ist der ganze Krimskrams, wo sind die Lego-Bausteine, die ramponierten Puzzles und die zerfledderten Comics? Und schläft das Kind wirklich ruhig und entspannt vor der mit abstrakten Fabelwesen bedrucken Wand, die zwar farbenfroh ist, aber eigentlich gar nicht so richtig zur üblichen Winnie Puh-, Spiderman-, Prinzessinnen- oder Barbie-Phase der lieben Kleinen passt?

Die „Unperfekten“ wohnen behaglicher

Behaglicher wohnen dagegen die Durchschnittsmenschen in ihren Durchschnittswohnungen, nämlich diejenigen, die zwar mit offenem Blick für die Wohnkonzepte anderer durch die Welt gehen, sich von den ambitionierten Blogbeiträgen der Stylisten gut unterhalten fühlen und sich Anregungen holen, aber am Ende selbst entscheiden, welche Möbel und Gegenstände am besten zu ihnen und ihrem Leben passen. Diese Menschen sind es in der Regel auch, die das Unkonventionelle lieben, nicht weil es trendy ist, sondern weil es ihrem vielseitigen Wesen entspricht. So sind es die „Unperfekten“, denen die orientalische Lampe schon gefiel, bevor die Windlicher in europäischen Möbelhäusern einzogen und bei denen Ethno-Laternern auch dann noch den Wohnraum erleuchten, wenn sie schon lange nicht mehr in sind. Die „Unperfekten“ sind es auch, die tatsächlich Wohnblogs mit Mehrwert schreiben und Trends kreieren. Zudem passt bei ihnen der Einrichtungsstil zum Leben.

 

Oberstes Bild: © HamsterMan – shutterstock.com

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