Klassisch, modern, genial: das Digitalpiano

Das Klavier war im 19. Jahrhundert der kulturelle Mittelpunkt der bürgerlichen Welt. Es gab eine unvorstellbar umfangreiche Klavierliteratur (denken Sie nur an Schubert). Dem Spaziergänger durch abendliche Gassen muss aus jeder guten Stube ein abwechslungsreiches Konzert entgegengeschallt sein. Im 20. Jahrhundert ging der Besitz von Klavieren mit steigender Produktion von Grammofonen und deren Nachfolgern zurück. Und im 21. Jahrhundert? Ist das Klavier ausgestorben? – Beileibe nicht. Vielmehr tritt es einen neuen Siegeszug in die Wohn- und Musikzimmer an. Und zwar in der Form des Digitalpianos.

Für den Musiker ist das Klavier Zufluchtsort und Enzyklopädie: Kein anderes Instrument hält mehr Möglichkeiten bereit. Für den Ästhetiker, den Liebhaber schöner Interieurs ist es ein erlesenes Wohnaccessoire. Und für den Besitzer ist es ein finanzielles Sorgenkind. Wenn auf die heissen Spätsommertage der feuchte, kalte Herbst folgte und plötzlich die Saiten hohl zu schollern begannen, zog meine Mutter ihr Klavierstimmer-Gesicht. Da wusste ich: Jetzt wird es wieder teuer.

Die Digitalisierung beseitigt diese Nebenkosten. Wenn Sie früher ein Homeoffice einrichteten, brauchten Sie Unmengen Papier, Farbbänder und viele Geräte. Heute haben Sie Multifunktions-Könner und brauchen nur eine Steckdose. Genau wie beim Digitalpiano. Und der Klavierstimmer entfällt.

Vorteile

Ein Digitalpiano muss nicht gestimmt werden. Sein Klang entsteht, indem die Töne eines echten akustischen Instruments, meist eines Flügels, gesampelt und digital gespeichert werden. Der Ton also bleibt unverändert: Sie können Ihr digitales Instrument nach jedem Wetterumschwung und jedem Umzug in der gleichen Klangqualität spielen. Apropos Umzug: Haben Sie mal selbst versucht, ein akustisches Klavier von Ihrer alten Wohnung in die neue zu schaffen? Spätestens seither werden Sie wissen, warum es Spezialspeditionen fürs akustische Klavier gibt. Ein digitales Klavier lässt sich mit wenigen Schraubenumdrehungen demontieren und zur Not von einer einzigen Person an seinen neuen Bestimmungsort bringen. Und wieder Geld gespart. Und Nerven.

Die unterschiedlichen Arten

Das Digitalpiano wird in zwei Ausführungen angeboten: als Home-Piano und als Stage-Piano. Home-Pianos können wahre Schmuckstücke sein, in edler schwarzer oder holzfarbener Oberfläche. Sogar Flügel werden heute in digitaler Technik gebaut. Für ihren Erwerb muss ein Durchschnittsverdiener auf ziemlich viele Ferienreisen verzichten. Ein Home-Piano besitzt Lautsprecher, wird zerlegt geliefert (die Montage ist einfach) und wiegt zwischen 25 und 45 Kilogramm. Stage-Pianos bieten dem Musiker die reine Tastatur und sind durch ihre Mobilität perfekt zum Konzertieren. Sie besitzen keinen Verstärker für den „Aussenbetrieb“ und müssen zu Hause an die Hifi-Anlage angeschlossen werden.

Der Anschlag

Ein digitales Home-Piano ist ein technisches Wunderwerk und ein Blickfang. Die hochwertige Tastatur und die edel gestaltete Oberfläche liegen von der Optik hochwertiger akustischer Klaviere nicht weit entfernt. Den Musiker aber interessieren die inneren Werte, vor allem der Anschlag. Wie bei allen wichtigen Kaufentscheidungen gilt auch hier: ausprobieren. Niemand würde zum Beispiel ein Fahrrad-Ergometer kaufen, ohne vorher zu testen, ob er bequem auf ihm sitzen und trainieren kann. Dreh- und Angelpunkt für den Pianisten ist der Anschlag.

Im Klavier liegt der Ton vorgeformt, Sie müssen ihn nicht wie bei einem Saiteninstrument auf dem Griffbrett ertasten. Dennoch weiss jeder Pianist, dass die Anschlagstechnik ein wichtiges Kriterium guten Spiels ist. Je nach weichem oder hartem Anschlag wird der Ton über die Taste modelliert. Im Digitalpiano wird zu diesem Zweck beim Sampling jeder Ton in möglichst vielen verschiedenen Anschlagsstufen aufgenommen. Und die besseren unter den Instrumenten (die einzigen, die musikalisch ernst zu nehmen sind) besitzen eine gewichtete Hammermechanik – eine Tasten-Anschlagstechnik, die in den akustischen Instrumenten zur Perfektion gereift ist. Mit ihr gelingen auf dem Digitalpiano selbst schnelle Tonrepetitionen besser als auf einem akustischen Spar-Klavier.

Hausmusik

Die 70er-Jahre waren das Jahrzehnt der Heimorgeln: Riesige Kästen in Eiche brutal machten sich in den Wohnzimmern breit; wie hoch der Anteil der Instrumente an der damals ansteigenden Scheidungsrate war, ist niemals wissenschaftlich untersucht worden. In den 80er-Jahren eroberten die Keyboards die musikalischen Genieecken der Haushalte: unschöne Plastikkästen, übersät mit einem Wirrwarr von Knöpfen und Schiebereglern. Das Digitalpiano ist das erste elektronische Instrument gewesen, das seinem akustischen Äquivalent ästhetisch und funktional etwas entgegensetzen konnte. Heute steht es gleichwertig neben ihm, ja hat es in Aussehen und Klang überflügelt.


Lautstärkeregelung und Kopfhörer. (Bild: Antonio Gravante / Shutterstock.com)
Lautstärkeregelung und Kopfhörer. (Bild: Antonio Gravante / Shutterstock.com)


Lautstärkeregelung und Kopfhörer

Ein Digitalpiano besitzt nur wenige Knöpfe und einen wichtigen Schieberegler: den für die Lautstärke. Nicht-Musiker in der Familie können aufatmen: keine abendfüllenden Taktwiederholungen aus „Für Elise“ mehr – der Musiker kann leise stellen; ja, er kann Kopfhörer aufsetzen! Die Ehe ist gerettet.

Hilfsmittel

Ein Digitalpiano besitzt wenige, aber wichtige Knöpfe. Mit ihnen können Sie die Tastatur auf andere Instrumente wie das barocke Cembalo umstellen. Das Digitalpiano erspart Ihnen auch die Anschaffung eines Metronoms, denn dieses ist auf Knopfdruck zuschaltbar. Hochwertige Instrumente besitzen eine Aufnahmefunktion für Ihr Klavierspiel. So können Sie Ihr Spiel mit kritischem Abstand beurteilen oder sich selbst begleiten. Für Anfänger finden sich in viele Instrumente auch Lernprogramme integriert.

So, jetzt setzen Sie sich die Kopfhörer auf und gönnen Sie sich eine intensive Stunde Bach, während Ihr Partner im Sessel die Beine ausstreckt und sich autonom durchs Fernsehprogramm zappen kann. Musiküben ist mit dem Digitalpiano endlich familienfreundlich geworden.

 

Oberstes Bild: © Antonio Gravante – Shutterstock.com

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